Menschen neigen dazu, recht allgemein gehaltene Aussagen über ihre eigene Person als zutreffend zu empfinden – der sgt. „Barnum-Effekt“. Welche Rolle spielt er bei den nach wie vor sehr populären Persönlichkeitstests? Und wie könnte man dieses Problem lösen und es besser machen? Damit beschäftigt sich dieser Beitrag.
Um zu verstehen, worum es sich beim Barnum-Effekt handelt, hilft ein Blick in das Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik, das dieses Thema sehr schön wie folgt zusammenfasst: „Der Barnum-Effekt oder Forer-Effekt bezeichnet die Neigung von Menschen, vage und allgemeingültige Aussagen über die eigene Person als zutreffende Beschreibung zu akzeptieren, daher manchmal auch als – manchmal auch als Täuschung durch persönliche Validierung („personal validation fallacy“) bezeichnet. Der Begriff wurde von Paul Meehl eingeführt und ist nach Phineas Taylor Barnum benannt, der ein riesiges Kuriositätenkabinett unterhielt, das für jeden Geschmack etwas bieten konnte („a little something for everybody“). Typische Barnum-Aussagen nehmen auf bei den meisten Menschen vorhandenen Wünsche und Ängste Bezug, formulieren diese in einem Sowohl-als-auch, verwenden Allgemeinplätze oder Mehrdeutigkeiten, so dass die meisten Menschen auch zustimmen können, denn irgendwie passen die Aussagen ja doch. Solche Aussagen werden dann oft als überraschend oder gar besonders zutreffend erlebt, […].“ (zitiert nach Stangl, W. (2023, 8. März). Barnum-Effekt – Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik. https://lexikon.stangl.eu/531/barnum-effekt.)
Wie siehst du dich selbst? Und wie objektiv kannst du dich selbst überhaupt sehen? Das sind wichtige Fragen, wenn es um Persönlichkeitsbeschreibungen geht. „Bin ich eher der Planer, der gut strukturierte Typ?“ „Aber ganz klar, in dieser Beschreibung finde ich mich wieder! Sonst, ohne Planung, würde ich doch den ganzen Familien- und Berufsalltag gar nicht schaffen!“ „Bin ich eher der Improvisationskünstler?“ „Auch ganz klar, in dieser Beschreibung finde ich mich doch auch wieder! Sonst, ohne jede Menge Improvisation, würde ich doch den ganzen Familien- und Berufsalltag gar nicht schaffen!“ Man sieht an diesem kleinen Beispiel schon: Das mit der (objektiven) Selbsteinschätzung bzw. den objektiven Selbstbeschreibungen ist gar nicht so einfach.
Beim Barnum-Effekt geht es also darum, dass wir Menschen dazu neigen, allgemein gehaltene, charakterbeschreibende Aussagen und Aussagen mit einem „sowohl-als-auch“-Anteil so zu interpretieren und auf uns zu beziehen, dass sie uns zutreffend erscheinen. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um positive Aussagen handelt. Warum funktioniert das in der Praxis so gut? Hier die wichtigsten Punkte mit Beispielen:
Nun wird man vielleicht denken: „Na ja, aber ich würde auf so etwas ja nicht hereinfallen?“ Möglich. Wahrscheinlicher aber ist, dass man sich doch davon beeinflussen lässt. Darauf weisen einige klassische Studien und Experimente hin.
Die Studien von Forer: Der US-amerikanische Psychologe Bertram R. Forer ließ bereits 1948 Studierende einen Persönlichkeitstest absolvieren. Anstatt die unterschiedlichen Antworten aber individuell auszuwerten und für jeden ein persönliches Ergebnis zu erstellen, generierte er einen Text voller Aussagen in dem Stile, wie wir sie gerade im vorigen Absatz beschrieben haben. Diesen Standardtext (wer den Originaltext gerne lesen möchte: Hier ist eine gekürzte Version davon zu finden) übergab er anschließend allen Probanden als individuelle Charakter- und Persönlichkeitsbeschreibung. Der Clou: Obwohl alle trotz ihrer unterschiedlichen Antworten denselben Text als Ergebnis und Charakterbeschreibung bekommen hatten, fanden sie sich darin sehr gut wieder, und zwar mit einem Durchschnittswert von 4,26 auf einer Skala von 0 (poor „mangelhaft“) bis 5 (perfect „perfekt“)! Da dies das erste Experiment dieser Art war, wurde der Barnum-Effekt ursprünglich auch als „Forer-Effekt“ bekannt
Der Effekt wurde später noch in zahlreichen anderen Studien bestätigt, unter Anderem in einer weiteren klassischen von Michel Gauquelin, der „persönliche“ Horoskope und „Persönlichkeitsprofile“ anbot – ebenfalls wieder mit einem einheitlichen Text. Die „Kundschaft“, die darum gebeten wurde, einzuschätzen, wie zutreffend diese Profile waren, war begeistert von der Güte der „persönlichen“ Analyse – und das, obwohl als Grundlage für die Persönlichkeitsbeschreibung die Persönlichkeit des französischen Serienmörders Marcel Petiots verwendet wurde.
Aktuelle Experimente: Möglicherweise war das Ergebnis der zuletzt genannten Studie ein Stück weit dadurch verzerrt, dass die Probanden ja selbst ein Horoskop angefordert hatten – also eher dazu neigten, Horoskopen zu glauben, als der Bevölkerungsdurchschnitt.
Aber auch „aufgeklärte“, rationale Menschen sind anfällig für den beschriebenen Effekt: „Maithink X“ – die Wissenschaftsshow im ZDF, die nach eigenem Anspruch „Beste Unterhaltung für Fans des kritischen Denkens“ bietet, hat sich in einer Folge auch mit dem Thema „Die Psychologie der Täuschung“ beschäftigt. („Die Psychologie der Täuschung“: MAITHINK X vom 10. April 2022 mit Dr. Mai Thi Nguyen-Kim“). Auch hier wird zu Beginn dem Studiopublikum in Auszügen eine individuelle, wissenschaftlich klingende Persönlichkeitsanalyse vorgeführt, die dann aber auch gleich als ein Forer-Experiement enttarnt wird.
Eigentlich handelt diese Folge der Sendung „Maithink X“ überwiegend von Horoskopen und Astrologie. Und dann geht es plötzlich um den MBTI – den Myers-Briggs Typenindikator®.
Wer sich die Sendung (in der Mediathek) ansieht, bekommt hier (ab Minute 10) anschaulich geschildert, warum der MBTI bzw. die dort charakterisierten „16 Persönlichkeitstypen“ ein wunderbares Beispiel für den Barnum-Effekt sind. Dies wird auch anderswo so gesehen: „[…] gilt auch für den MBTI der Barnum-Effekt. Der Proband erkennt sich in Beschreibungen wieder, obwohl diese eher allgemein gehalten sind und in Wirklichkeit auf die meisten Menschen zutreffen.“
Den MBTI wollen wir hier gar nicht an den Pranger stellen (auch wenn dieser vielfach und in vielerlei Hinsicht kritisiert wird. Für eine Zusammenfassung siehe hier): Dies ist nur ein in der Sendung gewähltes Beispiel, das aber typisch ist für Probleme, die bei allen derartigen Persönlichkeitstypologien entstehen können. Außerdem geht man auch bei anderen Verfahren wie der Graphologie geht man davon aus, dass ein erheblicher Teil ihrer „Passgenauigkeit“ und Aussagegüte auf den Barnum-Effekt zurückzuführen ist.
Es geht uns hier auch nicht darum, das Ganze zu verdammen. Nicht ohne Grund sind Persönlichkeitstests bei der Personalauswahl sehr populär. Und diese Typologien haben ja durchaus, wie kürzlich erst beschrieben, ihren Sinn und ihre Berechtigung. Wichtig ist jedoch, bei allen Instrumenten und Methoden, die bei der Einschätzung von Menschen und Persönlichkeiten eingesetzt werden, kritisch und wachsam zu sein. Das gilt auch für uns selbst als Potenzialanalyseanbieter. Denn „schlimm“ wird es potenziell immer dann, wenn „Gutachten“ und „Analysen“ einfach blind Glauben geschenkt wird, ohne sie genauer zu hinterfragen und zu reflektieren.
Und hier müssen wir als Anbieter von Potenzialanalyseverfahren natürlich auch aufpassen, dass genau diese gerade zuvor beschriebenen Effekte bei unserer Arbeit in der Praxis keine Rolle spielen oder dass sie zumindest so weit minimiert werden, dass sie die Aussagegüte und Beratungsqualität nicht wesentlich beeinflussen können.
Was ist bei den Potenzialanalysen von DNLA nun also anders als bei einem typischen Persönlichkeitsprofil oder bei einem Typologieverfahren?
Man sieht, wie schwer es ist, Menschen und ihre Fähigkeiten und Potenziale korrekt einzuschätzen. Solch eine richtige Einschätzung ist aber wichtig, wenn es zum Beispiel um die passende Förderung und um Entwicklungsmaßnahmen geht. Potenzialanalyseverfahren können hier einen wertvollen Beitrag leisten und sind eine geeignete Alternative zu klassischen Persönlichkeitstests.
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